Grass und sein "Gedicht gegen Israel", die Medien und der Antisemitismus

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Dies vorweg - der Wirbel um - und vor allem - die Kritik an Thilo Sarrazin und seinen Thesen waren nicht so heftig und einhellig wie jetzt im Fall des Nobelpreisträgers.

Grass hat schon recht, wenn er sich beklagt, daß auf den INHALT seines Textes nicht eingegangen wurde - auch kann ich den Eindruck einer gewissen "Gleichschaltung" in der
veröffentlichten Meinung, wie er sagt, gefühlsmäßig bestätigen. Da kommt es mir doch unwillkürlich so vor, als schreiben die dazu Beauftragten in Leitartikeln und Feuilleton rasch
etwas nieder, von dem sie meinten, daß es opportun wäre, weil von ihnen erwartet - sodaß sie nicht ihre Posten verlören. Hauptsache, kritisch. Allerdings Kritik, die neben der Spur
bleibt. So wie Thomas Steinfeld (Süddeutsche), der meint, Grass wolle sich durch die Gedichtform über alle Kritik stellen - Fehlanzeige, wie sich zeigte. Oder andere, die meinen, er
wolle sich nur profilieren, erneut auf sich aufmerksam machen - nun ja, alle Künstler sind mehr oder weniger Narzißten - womöglich nur seinen Bücherumsatz steigern. Oder er
nähme einen längst überholten Standpunkt der intellektuellen oder kulturellen Elite in Anspruch, das hätte was unerträglich Predigerhaftes. Hat sich dieses Land nicht gerade
einen Pfarrer zum Volks-Präsidenten auserkoren und wird von einer Pfarrerstochter regiert? Erwartungsgemäß kam auch das: er wolle von seiner jugendlichen Vergangenheit als
WaffenSS-Mitglied ablenken - die Diskussion hatten wir - und: auch ein Mörder kann "Feuer" rufen, wenn es brennt. Etwas kläglich war der Einwurf der anderen
Literaturnobelpreisträgerin (wer hatte die originelle Idee, sie um ihre Meinung zu fragen?), er litte an Größenwahn und sein Text enthielte keinen einzigen "literarischen" Satz. Kaum
verwunderlich, daß eine Frau, die jahrelang eng mit einem anderen Künstler zusammengearbeitet hat und dann erfahren mußte, daß dieser ein Spitzel des rumänischen
Geheimndienstes war, sich mit politischen Dingen schwer tut. Schließlich sei die noch etwas verstiegene Kritik der taz angeführt, die Erwähnung der "Antisemitismuskeule" durch
Grass, mit der hierzulande sofort jede Kritik an Israels Politik abgeschmettert würde, sei falsch und verlogen. Geschickte Polemik nach dem Prinzip der Wunsch sei der Vater des
Gedankens. Das Gegenteil ist offenkundig. Wer sich umhört, wird feststellen, Grass hat ausgesprochen, was viele schon lange, sehr lange, denken. Und hier gilt es auch,
bedauerlicherweise festzustellen, daß auf der Straße in diesem Lande ein Anstieg des primitiven Antisemitismus, der nicht zwischen Judentum einerseits und dem Staat Israel und
seiner derzeitigen bekannterweise radikal chauvinistischen Regierung andererseits differenziert, angewachsen ist - während offizielle Politik- und Regierunskreise wie auch große Teile der professionellen schreibenden Zunft und Intelligenz schnell, zu schnell mit dem Antisemitismus-Vorwurf argumentieren. Über die kausalen Zusammenhänge bei diesem Phänomen sollte ruhig nachgedacht werden.
Der einzige inhaltliche Punkt, der in den ersten Reaktionen auf das Grass-Gedicht zur Sprache kam, war dieser: Grass verdrehe Ursache und Wirkung, der Iran sei der eigentliche
Aggressor. Haben wir schon vergessen, daß die Giftgasfabriken, die den Irakkrieg auslösten, tatsächlich nie existierten? Und wird übersehen, daß der Staat Israel - seit seiner
Gründung immer wieder mit - berechtigten oder unberechtigten, im Resultat unerheblich - aggressiven Akten und Erstschlägen aufgewartet hat? Einer der letzten Vorfälle dieser
Art hat zu erheblichen Spannungen mit der Türkei geführt, als unbewaffnete türkische Friedensaktivisten in internationalen Gewässern von israelischem Militär abgeschossen
wurden.

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